„Die Mädchenkantorei ist wie eine zweite Familie“

Vor 25 Jahren gegründet, ist die Mädchenkantorei bis heute Stuttgarts einziger Mädchenchor.

Vor 25 Jahren gegründet, ist die Mädchenkantorei bis heute Stuttgarts einziger Mädchenchor.

Knabenchöre gab es schon. Also beschloss der damalige Domkapellmeister Martin Dücker einen reinen Mädchenchor zu gründen. Angefangen hat die Mädchenkantorei mit 24 Sängerinnen, heute sind es 150 Mädchen und junge Frauen im Alter zwischen fünf und 18 Jahren, die in drei Chorklassen singen. „Bis heute erfahren Knabenchöre eine größere Würdigung in der Öffentlichkeit“, stellt der heutige Domkapellmeister Christian Weiherer bedauernd fest. Dabei gebe es ein großes, abwechslungsreiches Repertoire für Oberstimmen. Und die Mädchen sind ohnehin mit Begeisterung dabei. Für die 17-Jährige Lara ist die Mädchenkantorei wie eine zweite Familie und die 18-jährige Jana versichert, die Probewoche im Sommer sei die coolste Woche im ganzen Jahr. Zu hören ist die Mädchenkantorei an diesem Sonntag, 31. März, um 19 Uhr in St. Eberhard mit Mozarts Requiem und Werken von Rutter und Brahms.

Es ist Donnerstagabend in der Domsingschule. Die älteren Mädchen aus dem Konzertchor haben einen langen Schultag hinter sich und singen jetzt eine Passage aus Mozarts Requiem noch einmal und noch einmal. Harte Arbeit. Am Ende der Chorprobe setzen sie sich lachend im Halbkreis zusammen und schwärmen. Die jungen Frauen sind sich einig: der Mädchenchor ist das allerliebste und allercoolste Hobby. Die 15-Jährige Paulina findet, eine Woche ohne Chorproben ist keine gute Woche. „Da fehlt mir was und ich weiß am Ende gar nicht mehr, welcher Tag eigentlich ist.“ Und was die Chorfreizeit im Kloster Rot an der Rot in den Sommerferien angeht, sind sich sowieso alle einig: das sei die beste und lustigste Woche im ganzen Jahr, die keine missen möchte. Und das ohne Handy und Internet, dafür umgeben von vielen Freundinnen.

Die 16 Jahre alte Lisa, die vor sechs Jahren auf Drängen ihrer Mutter dazukam und eigentlich gar nicht singen wollte, ist ihrer Mutter heute zutiefst dankbar: „Der Chor gibt mir Selbstbewusstsein, die Stimmbildung hilft mir auch in der Schule deutlicher zu sprechen und durch die Auftritte habe ich heute eine ganz andere Präsenz.“ Die 18-jährige Jana, die gerade ihr Abitur macht und seit 13 Jahren dabei ist, erzählt: „Manche Stücke müssen wir uns schwer erarbeiten, aber wenn dann der Auftritt kommt und alle hochkonzentriert dabei sind, ist das einfach unglaublich und ein riesiges Glücksgefühl.“ Paulina pflichtet ihr bei: Bis heute gebe es Lieder, die ihr ein Lächeln ins Gesicht zaubern, kaum dass sie die ersten Noten hört oder singt – darunter auch Stücke wie die „Litanies de la Vierge noire“, die ihr lange gar nicht zugänglich erschienen. Jana empfindet schon an diesem Donnerstagabend in der Domsingschule Abschiedsschmerz, denn nach dem Abitur wird sie die Mädchenkantorei verlassen. „Der Zusammenhalt ist enorm. Man findet immer jemanden zum Reden, auch wenn es einem mal schlecht geht. Schön ist auch, dass die Großen immer auch nach den Kleineren schauen und sich verantwortlich fühlen.“

Viele der Mädchen sind wie Jana seit Jahren dabei. In die Mädchenkantorei aufgenommen werden die Kinder ab dem Alter von fünf Jahren. Einzige Voraussetzung für die Kleinen ist der Spaß am Singen, wie der Domkapellmeister Christian Weiherer erklärt. Der Nachwuchschor mit den jüngeren Mädchen probt einmal in der Woche, ab dem Aufbauchor, in den die Mädchen in der dritten Schulklasse wechseln, wird zweimal die Woche geübt. Die Mädchen bekommen eine altersgerechte Ausbildung auf hohem Niveau und werden von drei Stimmbildnerinnen begleitet. Das Repertoire reicht vom Gregorianischen Choral bis zur zeitgenössischen Musik, vom kirchlichen Gassenhauer wie dem Weihnachtsoratorium bis zum feinen, abseitigen Stück wie Benjamin Brittens Kinderkreuzug, Jean-Pierre Leguays Chant oder auch eigens für die Mädchenkantorei komponierten Stücken im Rahmen des Kooperationsprojektes „Beyond“ mit der Hochschule für Musik Stuttgart. Durch Kooperationen mit anderen Ensembles werden auch regelmäßig Chorwerke für gemischten Chor einstudiert und aufgeführt. „Wenn man sich die Klassiker der Chorliteratur einmal erarbeitet hat, bleiben einem diese für das ganze Leben“, ist Christian Weiherer überzeugt. Wichtig neben einer guten musikalischen Förderung der Mädchen ist das Miteinander in der Gruppe und die Vermittlung von Werten. „Die Mädchen sollen sich gut aufgehoben fühlen“, sagt der Domkapellmeister.

Zum festen Jahresprogramm gehört ein Chorwochenende ab dem Aufbauchor und eine Chorfreizeit für die größeren Mädchen ab der siebten Klasse. Auch Konzertreisen gehören für die älteren Mädchen dazu, die in diesem Jahr zum deutschen Chorfestival Pueri Cantores nach Paderborn führt, im nächsten Jahr dann nach Großbritannien. Und zum Jahreslauf gehören auch die regelmäßigen Auftritte in den Gottesdiensten und Konzerten in den Stuttgarter Kirchen. „Mit allen Altersstufen kommen im Jahr weit mehr als 40 Auftritte zusammen“, sagt der Domkapellmeister Christian Weiherer. Er ist überzeugt von dem hohen musikalischen Niveau des reinen Mädchenchores und stellt mit Bedauern immer wieder fest, dass Knabenchöre eine viel höhere Wertschätzung erfahren. „Die Knabenchöre profitieren von der Historie und dem breiteren und auch populäreren Repertoire“, so Weiherer.

Der nächste Auftritt des Konzertchores der Mädchenkantorei zusammen mit dem Domchor St. Eberhard ist an diesem Sonntag, 31. März, um 19 Uhr in der Domkirche St. Eberhard. Aufgeführt wird Mozarts Requiem in D-Moll, sowie die Visions von John Rutter. „Im Kontext dieses Progammes soll es nicht alleine um die Trauer und das dramatisch dargestellte Jüngste Gericht gehen, sondern vor allem um das, was nach dem Tod kommt: die Verheißung des Paradieses, des himmlischen Jerusalem, welches in Mozarts Requiem an einigen Stellen besungen wird, eine ganz besondere Darstellung jedoch in Rutters Violinkonzert „Visions“ erfährt.“

Dom St. Eberhard | Königstr. 7